28.11.2022

Beweislastverteilung bei Sturz im Kaufhaus

Stürzt ein Kunde aufgrund einer Verunreinigung des Bodens in einem Warenhaus, muss der Inhaber beweisen, dass von ihm und seinen Mitarbeitern alle Sorgfaltspflichten erfüllt wurden, um einen solchen Vorfall zu vermeiden. Insoweit verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des Kaufhauses. Die Beweislastverteilung wird in solchen Fällen durch die Unterscheidung zwischen Pflichtverletzung und Verschulden nicht definitiv bestimmt.

BGH v. 25.10.2022 - VI ZR 1283/20
Der Sachverhalt:
Die Beklagte betreibt Einrichtungshäuser. Im November 2018 betrat die Klägerin die Räumlichkeiten der Filiale in Kiel, um dort einzukaufen. In den Verkaufsräumen stürzte sie und fiel auf die linke Seite, wobei der Grund zwischen den Parteien streitig blieb. Nach dem Sturz wurde der Klägerin eine Hüftendoprothese links implantiert.

Die Klägerin behauptete, sie sei im Erdgeschoss des Einrichtungshauses vor dem Pflanzenbereich aufgrund einer auf dem Boden liegenden Weintraube ausgerutscht und gestürzt. Die Beklagte habe es versäumt, für eine hinreichende Reinigung des Sturzbereichs zu sorgen.

Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung blieb erfolglos. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Urteil aufgehoben und das Verfahren zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:
Die Begründung, mit der das OLG eine haftungsbegründende Verletzung der Schutzpflicht verneint hat, obwohl es davon ausgegangen ist, dass der Sturz der Klägerin durch eine auf dem Fußboden der Verkaufsräume der Beklagten liegende Weintraube verursacht wurde, ist rechtsfehlerhaft.

Die Kombination aus stündlicher, von Mitarbeitern der Beklagten kontrollierter Sichtreinigung durch ein Reinigungsunternehmen und zusätzlicher Reinigung "auf Zuruf" der in kurzen Zeitabständen vor Ort befindlichen Mitarbeiter der Beklagten durch eine eigens hierzu abgestellte Reinigungskraft in dem hier in Rede stehenden Bereich des Warenhauses ist zwar grundsätzlich ausreichend. Rechtsfehlerhaft war jedoch die Auffassung der Vorinstanz, die Klägerin müsse beweisen, dass die von der Beklagten dargelegten und vom Berufungsgericht für ausreichend erachteten Sicherungsmaßnahmen zur Vermeidung einer Verunreinigung des Fußbodens im Unfallbereich nicht erfolgt seien. Das OLG hat insoweit die im Streitfall hinsichtlich der objektiven Verletzung der der Beklagten gegenüber der Klägerin obliegenden vorvertraglichen Schutzpflichten nach § 280 Abs. 1 BGB vorzunehmende Beweislastverteilung verkannt.

Nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB trägt zwar der Gläubiger grundsätzlich die Beweislast für die Pflichtverletzung, während der Schuldner nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB beweisen muss, dass er die Pflichtverletzung nicht i.S.v. § 276 BGB zu vertreten, also verschuldet hat. Bestimmt sich der Inhalt der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden (Verhaltens-)Pflicht - wie im Falle der Verkehrssicherungspflicht - nach der unter Beobachtung der jeweiligen Umstände verkehrserforderlichen Sorgfalt, überschneidet sich die Pflichtwidrigkeit gem. § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB jedoch mit dem Vertretenmüssen/Verschulden gem. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Zum Verschulden gehört ein äußeres Fehlverhalten, im Fall der Fahrlässigkeit der Verstoß des äußeren Verhaltens gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB). Infolgedessen verliert die Regelung des § 280 Abs. 1 BGB für diese Fälle ihre Eindeutigkeit. Die Beweislastverteilung wird in diesen Fällen somit durch die Unterscheidung zwischen Pflichtverletzung und Verschulden nicht definitiv bestimmt.

Die Beklagte hätte beweisen müssen, dass von ihr bzw. ihren Organen und besonderen Vertretern, für die sie nach § 31 BGB einzustehen hat, die zur Vermeidung von Unfällen der streitgegenständlichen Art erforderlichen Organisations- und Überwachungsmaßnahmen getroffen worden sind und dass auch ihre Erfüllungsgehilfen alle nach Lage der Sache erforderliche Sorgfalt bei der Ausübung der ihnen übertragenen Pflichten beobachtet hatten. Insoweit verbleibende Zweifel gingen zu Lasten der Beklagten. Denn die vom OLG als unfallursächliche Gefahrenquelle angenommene Verunreinigung des Fußbodens der Verkaufsfläche war dem Gefahren- und Organisationsbereich der Beklagten zuzurechnen.

Dabei kam es nicht entscheidend darauf an, ob die in Rede stehende Weintraube aus dem Warensortiment der Beklagten stammte. Denn die Zuordnung dieser Gefahrenquelle zum Bereich der Beklagten beruhte vorliegend maßgeblich darauf, dass die Beklagte durch die Verkehrseröffnung eine Situation geschaffen hatte, in der die Kunden häufig abgelenkt und daher durch eine Glätte des Fußbodens oder durch auf dem Boden liegende Gegenstände in besonderer Weise gefährdet waren. Die Gefahr, dass Besucher in der Einkaufssituation, etwa aufgrund ihrer Konzentration auf die angebotenen Waren, nicht wie üblich auf Glätte oder Gegenstände auf dem Fußboden achten, bestand aber unabhängig davon, ob eine etwaige Verunreinigung aus dem Warensortiment selbst stammte oder - womit der Betreiber eines Warenhauses rechnen muss - durch von Besuchern mitgebrachte Gegenstände verursacht wurde.

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